Es war irgendwann im Juni dieses Jahres. Zwei Kinder standen eines Nachmittags, für mich gänzlich unerwartet, auf unserem Hof. In ihren Händen hielten sie einen Strauß bunter Blumen, deren Farbe kräftig rote und blaue Blumen zeigte. „Herr Heinze, die haben wir gerad in deinem Feld gepflückt. Das ist doch dein Feld mit den vielen Blumen?“ fragten sie mich mit ihren großen, leuchtenden Augen.
Ich war sprachlos, man muss es mir angesehen haben. Fast war ich nahe, das zu leugnen. Was denken vielleicht Erwachsene darüber, was ich wohl für ein Bauer bin, was ich auf meinem Feld eigentlich ernten soll. Von Blumen allein kann man doch keine „Welt“ ernähren. All die Felder der anderen Bauern ringsherum stehen voller dicker Ähren. Alle Felder sehen fast gleich gelb aus. Nur eben meine Felder sehen anders aus. Es fühlte sich für einen Moment an, als wollte mein Kopf rot anlaufen, um nach einer passenden Erklärung zu suchen.
Es war nicht nur dieser herrliche Blumenstrauß. Andere haben mir via WhatsApp viele Bilder von meinen Feldern, oft mit ein paar schönen Worten, zugeschickt. Ein ganz besonderes Bild war dabei, wie ein Brautpaar in weißen Hochzeitskleidern mitten im Feld stand. Verrückt! Na ja, und viel konnten sie von der eigentlichen Ernte eh nicht mehr kaputt machen, dachte ich mir.
So nahm ich die beiden Mädchen mit zu mir auf die Bank an unserem Hofladen, lud sie zu einer frischen Limo ein und erzählte ihnen folgende Geschichte von meiner Sorge, Hoffnung und Zuversicht. Ganz still lauschten sie mir zu, ihre Hände auf ihren Schoß gelegt.
Ja, es gibt sie noch, die „Wunder des Leben“. Eine kleine winzige Biene, auch genannt Mohn-Mauerbiene ist so ein Zauber der Natur. Und sie hat es hier in unserer Ackerlandschaft richtig schwer, denn sie ist vom Aussterben bedroht. Doch ist es auch ihr wie unser Zuhause, die Felder und Fluren weit und breit. Sie war schon weit vor uns da, da wussten wir Menschen noch gar nicht, wie sie heißt. Diese Biene hat einen ausgesprochenen Sinn für Schönheit: Die Mohn-Mauerbiene kleidet ihre Brutgänge mit Stückchen von Blütenblättern aus, mit kleinen Blütenteilen der roten Blume. Sie knabbert diese ganz vorsichtig ab, greift sie fest mit ihren Pfötchen und bringt sie zu ihrem Erdbau ganz in der Nähe. Sie liefern der kleinen Baumeisterin somit eine rote, farbenfrohe Tapete. Einzigartig wie fein sie ihren Erdbau, ein winziges Loch am Boden, damit schmückt. Darin entwickeln sich die kleinen Larven, also ihr Nachkommen, prächtig, wie in einem samtweichen, purpurroten Bettchen. Aber das total verrückte an dieser Geschichte ist, dass die Mohn-Mauerbiene allein von den roten Blumen nicht leben kann. Schlicht gesagt, sie würde allein auf einem roten Blütenfeld verhungern, denn es fehlt ihr an der passenden Nahrung, würden nicht zur gleichen Zeit auch blaue Blumen im Feld blühen. Denn von der Pracht der roten Blume wird die Biene nicht satt, sie brauch unbedingt den süßen Nektar der blauen Blume, es geht ihr nur um diesen Nektar, der ihr besonders lecker schmeckt.
So wie richtig gute Freunde passen alle drei einzigartig zusammen, also die Biene, die rote und die blaue Blume. Sie brauchen sich füreinander. Einer weiß, was der andere für ihn bedeutet.
Noch vor reichlich einhundert Jahren sah es hier in unserm Land überall so bunt aus. Die Felder waren kurz vor der Ernte mit bunten Farbtupfern übersät. Doch mit dem Einzug einer anderen, wir sagen heute modernen Landwirtschaft, ändert sich das Bild unserer Landschaft negativ nachhaltig. Dicke Ähren ersetzten Farbtupfer und Lebensgemeinschaften wurden weniger. Kleinste Lebewesen und Pflanzen hatten hier keinen Platz mehr, sie wurden quasi aus dem Weg geräumt. Das Ergebnis: diese kleine Biene wäre bald nur noch auf Bildern und in Büchern zu entdecken gewesen. Wie verrückt sind wir Menschen eigentlich? Wir räumen unsere Wohnung „Landschaft“ leer und am Schluss fühlen wir uns nicht mehr wohl darin.
Nur für die Bienen habe sie so viele bunten Blumen ausgesät, fragten mich die beiden Kinder.
Nein, nein. Wir machen einfach Landwirtschaft anders, versuchte ich es den Kindern zu erklären. So haben wir bei der bunten Blumenpracht keine Möglichkeit, sie wegzumachen. Sie gehört als Sinnbild unserer Art, achtsamer zu wirtschaften, dazu.
So musste auch ich weit durchs Land reisen, um Menschen zu begegnen, die mir von diesem Wissen und dieser Weisheit erzählten. Es sind Menschen so wie du und ich. Sie lieben, was sie tun, nämlich das Bewahren. Etwas aufheben, etwas beschützen für die nächsten, die nach uns kommen. Deshalb bin ich euch beiden jetzt so dankbar, dass ihr mir diesen Blumenstrauß gepflückt habt, deshalb bin ich froh, dass meine Felder bunt blühen. In euren kleinen Kinderhänden halte ihr das Bewahren fest. Und gerade deshalb sitzen wir drei hier, wir brauchen miteinander. Würde ich eine andere Landwirtschaft machen, wäret ihr nicht mit den Blumen zu mir gekommen und ihr hätte nie was von dieser kleinen Biene erfahren. Stimmt’s?
Irgendwann, glaube ich, werden die beiden Kinder die Geschichte weiterzählen, dass dicke Ähren allein die Welt nicht retten können.